İn der Strafkolonie. Franz Kafka

Obwohl Kafkas Text 1914 entstand, will ich ihn als İnterpretation meiner jüngsten Überlegungen über das nackte Leben betrachten. Besonders die willenlose, anscheinend gegen das eigene Schicksal gleichgültige Existenz des Delinquenten spricht für eine explizite Darstellung eines durch Entrechtung und Lagerhaft voellig verfügbar gemachten Menschenlebens, das sich mangels Gerichtsverhandlung, kundgemachter Anklage und Verurteilung selbst nicht verorten und folglich auf nichts berufen kann. Die vorgebliche Verurteilung besteht nur in einem Beschluss des Richters und Offiziers, und hat daher weder Ort noch Zeitpunkt - seine einzige Kundmachung würde in dem eingravierten (unleserlichen) Spruch bestehen.

Es ist vielleicht zuwenig bedacht worden, dass ja die ganze Szenerie, obwohl sie niemals im Text erscheint, doch eine Strafkolonie ıst, auf einer İnsel, einem Kommandanten unterstellt.
Wer wird hier bestraft, und wofür?
Offensichtlich ist der an der Exekution beteiligte phlegmatische Soldat ebenfalls ein Gefangener, der Schluss liegt nahe, dass auch der Offizier und der Kommandant es sind - nur eben der Reisende ausdrücklich nicht, da er ja das ganze Auditorium und die einzige Instanz der Abhandlung ist. İn der Strafkolonie ist naemlich der Grund für dıe dargestellte Urteilssituation zu suchen. Sie ist der eigens hergestellte Schauplatz ausserhalb des Rechts. Was sich hier vollzieht, ist Selbstjustiz ohnev İnstanzen, die sich am Ende auch an sich selbst vollzieht und dadurch aufhebt. Am alten Kommandantenwurde das bereits vorweggenommen. Die İnstanzenlosigkeit besteht ungeachtet der militaerischen Raenge, dıe ja vorhanden sind - und der vorgeführte Delinquent bekleidet einen niederen Rang. Aber indem Macht und Zustimmung auch dem alten Kommandanten entzogen werden, bleibt auch dieser nicht von der Verurteilung ausgenommen. Aber selbst der neue Kommandant wird als von Frauen beeinflusst dargestellt: Er tifft zwar Entscheidungen, aber er ist nicht deren Subjekt.
In der Kolonie gibt es kein Handeln und keinen Handelndes. Der einzig scheinbar taetig dargestellte Offizier wird mit keiner Handlung gezeigt, sondern nur mit einem Versuch der Rechtfertigung, der aber scheitert. Seine eigene Hinrichtung ist ausdrücklich keine Handlung eines Subjekts, sondern ein Mahlen der Maschine, und es sollte aufgefallen sein, dass sie nicht einmal eingeschaltet wurde, und im Ablauf ganz unerwartete Verhaltensweisen zeigt. Die Maschine wird als einzig taetiges Wesen gezeigt, das seine beiden Konstrukteure verschlingt, ohne einen Mord zu begehen (Agamben) - eher als Verhaengnis denn als Unfall. Deshalb ist der Apparat Ausdruck und Sinnbild der Strafkolonie im ganzen, welche Schauplatz der Herstellung von Subjektlosigkeit ist, aiso Ausnahmezustand und Lager zugleich.

Und was ist nun mit dem Reisenden selbst?
Ohne ihn bestünde in "Gegenwart" der Maschine dieselbe Situation wie in "Warten auf Godot". Er ist in der Szenerie der Lethargie der Erwartete, der die Selbstrechtfertigung ermöglichen soll, sich aber verweigert. Es findet keine Rechtfertigung statt, das Gericht vollzieht sich nicht am Beschuldigten, sondern am vermeintlichen Richter, im messianischen Strafgericht also, durch kein Subjekt im innerweltlichen Sinn.

Möglicherweise liesse sich das Apparat als Manifestation des Foucaultschen Begriffs der Diapositive lesen, Apparaturen der Verfügung über und Verfügbarmachung von Menschen in der Normalisierungsgesellschaft. Diapositive entstehen wie die öffentliche Meinung, es lassen sich zwar "Player" angeben, Massenmedien , Politiken, Forschungen, aber keine Verursacher, die verantwortlich zu machen sind. An dieser Stelle wird der Vergleich mit Kafkas Apparat ungenau. Eher ist der Apparat, wie oben gesagt, ein Verhaengnis, das auf Entsubjektivierung zulaeuft und diese umfassend verwirklicht.

Die Flucht des Reisenden?
Warum entzieht sich am Ende der, in dem eine Instanz erkannt sein wollte, ohne Rechtfertigung zu gewaehren?
Die Flucht zeigt ein Ausserhalb des Lagers, das gleichwohl, aus der Sicht der im Text dargestellten Welt, fıiktiv ist. Ist der Reisende ein Feigling, da er sich nicht in die Arena der Macht begeben hat?
Nein, der Reisende ist ein Godot, der noch zuwartet. Denn was er zurücklaesst in der Strafkolonie, ist ein zerstörter Justizapparat , ein nichtdesavuierter Befehlshaber und zwei freigesetzte Individuen, die das Heft in die Hand nehmen könnten und einen eigenen Text schreiben. Er wird erst am Ende wieder erscheinen, wenn Subjekte gerechtfertigt sind.
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