Enthüllungen

Der Berg.
Der Berg Nebo.
Zu seinen Füßen das Land.
Zu des Propheten Füßen.
Der Prophet hat gesehen.
Der Prophet hat gesehen das Feuer.
Er hat gesehen die Wüste.
Er hat gesehen das Meer.
Er hat, als alle nur Elend sahen, gesehen die Freiheit.
Hat, als alle nur Meer sahen, nur Wüste: gesehen einen Weg.
Als Kleinmut herrschte, hat er gesucht Überblick am Gottesberg,
als dann alle sehen wollten und etwas zur Hand brauchten, hat auch er nicht gesehen Gott. Nur gehört. Zugehört und aufgeschrieben. Der Hörer, der Schreiber, der Prophet.

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Mrman sagt, an klaren Tagen könne man Jericho, manchmal sogar Jerusalem sehen, und die goldene Kuppel des Felsendoms ausmachen von hier. Er, der Palästinenser, kann das sehen. Mose sah ganz Juda bis zum Negeb. Im Norden sah er Naftali bis Dan, wo die Golanhöhen sind.
Wieso sehen die beiden so weit?
Heute würden die Psychologen sagen: der Blick der Begierde. Das alles haben wollen. Meine Macht von dort bis da. Das alles zu meiner Verfügung.
Die Israeliten, die Palästinenser.
Nur, Mose starb danach. Er sah das Land nur von oben, er war nie darin.
Mrman wohnt in Amman. Seine Frau besuchte gerade Verwandte in Jerusalem, dann wird sie zurückkommen. Wird das Land einmal den Palästinensern gehören? Mose wüsste es.

Man erinnere sich: Einmal hat Mose nicht sehen wollen. Auf einem anderen Berg. Am Sinai, dem Gottesberg. Er sagte, wenn ich Gott sehe, muss ich sterben. So drehte er sich um zur Felsspalte, und Gott zog in der Wolke hinter ihm vorüber. So kam ein nichtsehender Mose herunter mit dem Gehörten und musste sein Volk das Hören lehren.
Nun hat er gesehen - und ist gestorben. Er hat das Land gesehen, wird erzählt. So weit, wie es eigentlich nicht zu sehen ist. Er hat mehr gesehen als ein Mensch kann. Hat er doch Gott gesehen?
Hat er wie ich nur Dunst gesehen, und diesmal in der Wolke Gott?
Und ist so gestorben.
Das Sehen hat Mose niemanden gelehrt.
Deuteronomium erzählt nichts vom Sehen.
Aber viel vom Sterben.

Ich hätte gern Sandro gesehen.
Er ist in Simeon, das nicht einmal Mose gesehen hat, noch hinter Juda.
In Beerscheba, wo Abraham den Brunnen gegraben hat.
Abraham hat seine Herden getränkt und ist reich geworden.
Gott hat er nicht gesehen, aber das Land, seinen Reichtum und seine Kinder.
Doch ist, was er gesehen hat, prekär geblieben.
Er musste bis zuletzt bangen um die Wahrheit der Verheißung.
Also hat auch er mehr gesehen, als vor den Augen ist.
Also lässt sich mit den Vätern doch sehen lernen. Ein Sehen, das nach dem Hören kommt. Zuerst der Ruf, und dann die Nachfolge wie ein Blinder. Ein blindes Sehen. Ein Sehen im Dunst.

Sandro, hast du schon rufen gehört?
Hast du zu sehen begonnen im Nebel?
Dann geh, andere werden dir folgen

Abschlussbetrachtung

Mit Wort und Sprache fühle ich mich erst dann wieder vertraut, wenn sich das glaubhaft wiedergeben laesst, wie dieses kleine Maedchen mit seinen Taschentüchern von Tisch zu Tisch gegangen ist, um sie feilzubieten, mit einer Nachlaessigkeit, der man viele Abweisungen und Enttaeuschungen ansieht, und zugleich einer unbeeindruckten Bestimmtheit, die mein Nein nicht annimmt und viele Male mit Doch repetiert, um dann mit frauenhafter Anmut davonzugehen und am Ende der Gasse ein paar Kindersprünge zu machen.
Oder jener etwas grössere Junge, der bei schleichenden Gang auf seinem Kopf ein Tablett mit mehreren Reihen aufgetürmter Honigkringel balanciert, dann vor unseren Tischchen dieses mit einer geschickten Bewegung vom Kopf nimmt und mit der aufgestützten Hand haelt, und nun langsam und stumm sich zu jedem Tischchen hindreht, um darauf im Teelokal zu verschwinden.
Jede solche Anmut fehlt der rundum schwarz verschleierten dicklichen Frau, die stumm einen leeren Plastikteller zu den Tischen haelt und trotz Verhüllung mein Kopfschütteln gesehen haben muss.

İch jedenfalls würde mit einem solchen Wort nicht zufrieden sein, wenn es laenger in Anspruch nimmt als das Ereignis, das es darstellt.
Aber wenn du es sagst, dann habe ich an meinem letzten Tag in Mesopotamien nun meinen Frieden gefunden in einer schmalen Gasse in Diyarbakır, wo ich laechelnd mit Kurden auf Basthockern am Gehsteig sass mit meinen Worten und Gedanken, und noch einiges vorhatte.

Die doppelte Sonntagsmesse

Die chaldaeische Kirche scheint beinahe aelter als die gesamte Christenheit, denn auch wenn sie sich direkt auf Apostelgründungen zurückführt, sind ausserdem noch Saeulen und andere Teile eines Römertempels eingemauert, und die Liturgiesprache ist diejenige Jesu und der Apostel.
Die drei oder vier in der Stadt verbliebenen chaldaeischen Familien nehmen vollzaehlich am Gottesdienst teil, und die Söhne des Priesters ministrieren fachkundig und singen auch schwierige Passagen vor. Sie ziehen den Vorhang auf und zu, schlurfen mit roten Plüschschlapfen durch den Altarraum und raeuchern in alle vier Himmelsrichtungen mit fachkundiger Laessigkeit. Der Prister schaut zum Heiligtum und winkt manchmal mit der Hand über die Schulter anscheinend zur Gemeinde hin. Am Ende verehren wir das Evangeliar mit einem Kuss und nehmen beilaeufig von den auf der Altarschranke abgestellten Brotstückchen.
Danach trifft sich die Gemeinde mit dem Priester, dem und dessen Eltern ehrfürchtig die Hand geküsst werden, auf Plastlkstühlen vor der Kirche, wobei Priester wie Gattin, die als einzige etwas Englisch können, bisweilen ein Wort an mich richten.

Gleich anschliessend ist gegenüber in einem schönen alten Wohnhaus ein protestantischer Gottesdienst, Hauskirche also, und jugendliche Musikanten spielen unbeschwert und singen mit der Gemeinde. Maenner geben Glaubenszeugnisse und lesen Bibelstellen, worauf jedesmal ein Lied gesungen wird, mit projiziertem Text. Ein Sprecher oder Animator lehnt hemdsaermelig am Pult oder betet mit erhobenen Haenden. Schliesslich werden Fladenbrot und Traubensaft durchgereicht, von deren Wandlung ich nichts gesehen habe. Vaterunser oder Schlusssegen habe ich nicht wahrgenommen, aber ein Gebet für die Kinder, die dafür nach vorn gekommen waren und das aus der Bank gesprochen wurde. Nach dieser Stunde gingen die Kinder in den Hof spielen, und es folgte die Predigt vom bisherigen Gitarristen, der die Glaeubigen eine Stunde lang aufmerksam lauschten, bisweilen sehr amüsiert. Es ging um Wahrheit, und ein Beispiei erzaehlte von einer Mutter, die ihrem Kind, nachdem es an der Tür geklopft hatte, zurief, sie waere nicht zu Hause, worauf das Kind zum Besucher sagt, Mutter haette gesagt, sie sei nicht zu Hause.
Die etwa 50köpfige Gemeinde besteht aus vielen jungen Leuten, einigen graumelierten Türken und drei Kopftuchtraegerinnen, sowie einigen auslaendischen Gaesten, und die meisten sangen und beteten mit, bisweilen mit ausgebreiteten Haenden. Anschliessend stand man ungezwungen und fröhlich beisammen, aber mit mir sprachen auch nur drei Personen, allerdings sehr persönlich.

Ob ich allerdings nun seit Byblos die Sprache wiedergefunden habe, laesst sich noch nicht genau beantworten, denn auch dazu braeuchte es Sprache. Aber wenigstens hab ich eine Gemeinde gefunden, und, wenn auch mit Mühe, den Ort, wo sie sich versammelt.

Byblos und das Ende der Sprache

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In Byblos hat mich die Sprache verlassen.
Seither kann ich meinem Bleistift nur mehr Allgemeinplaetze entwinden, die schon vor der Niederschrift nichtssagend sind. Bereits auf Sidon konnte ich mir keinen Reim machen, auf den Fischbasar und die Palaestinenser. Auch fuer Tyros fehlen mir die Worte, das ich still und alleine umschritten habe und vom Meer her betreten, in Schutthaufen nach Purpurschnecken stoebernd - wieder vom Rand her.

In Jerash hatte mich Mrman zu Recht gefragt, wo denn zwischen den roemıschen Prachtstrassen, Theater und Tempeln denn die Leute gewohnt haetten: Nun, in Byblos gab es die Wohnhaeuser, bronzezeitlich!, indes hat Joanna und Marie-Noel das Grabungshaus viel mehr beeindruckt, das in altlibanesischem Stil errichtet war. So verschwanden also die Wohnhaeuser noch einmal nach Jahrtausenden, denn auch mich interesslerte mehr der Obeliskentempel: da hatte man den Stein selbst sprechen lassen duer eine gottliche Anwesenheit, ohne ihn nach Menschengestalt zu formen.
Und Vanessa, Joseph, Sou-yn und die andern sind erst recht nicht ln Worte uebersetzbar, denn wie soll man ein paar froehliche, ausgelassene Stunden am Meer neben der uralten Stadt wiedergeben, ohne dass sie Vergangenheit wuerden?

Auch Baalbek verschweige ich, denn der kollosale Jupitertempel, der von Augustus und nachfolgenden Kaisern, besonders Nero, als der allergroesste des roemischen Reiches gebaut wurde (und wie dieses nie fertig wurde), trat von Anfang an zurueck hinter die Begegnung mit François, mit dem ich die Saeulenreihen abgeschritten bin und noch lange am Nachmittag im Cafe sass, wo es um Fragen von Lebensentscheidung und Wahrheit ging - obwohl er an diesem Tag noch das Land verlassen wollte.

Und mein eigenes Verschwlnden aus Libanon kann kaum Worte finden, da es sich nicht und nicht ueberwinden konnte, endlich stattzuhaben, und sich stattdessen in Korridoren wie in Tripolis in langem, unbestimmten Warten, und bald darauf noch mehr in Homs verlor, wo ich, geldlos, von einem Taxi durch die freitaegliche Stadt getragen wurde, ohne dass sich Syrien entschliessen konnte, mich an seine Waehrung oder seine Nahrung heranzulassen, und dieses leere Kreisen dennoch die Haelfte meiner libanesischen Waehrungsreserven verbrauchte; indessen ereignete sich abseits erst das Entscheidende: İch trieb mich in den Stunden bis Mitternacht in den Seitengassen der Busstation herum und gewahrte aus den Augenwinkeln eine starke Rauchentwicklung, schlich naeher und fand einen Kebabbrater, der den Griller mitten auf die Strasse gestellt hatte. In Freude willkommen geheissen, bekam ich fuer meine Scheine ein stattliches syrisches Menue auf einem eigens herbeigeschafftem Plastiktisch in der Tiefe des Geschaefts zwischen Zwiebelkisten und Putzmitteln, waehrend die uebrigen Strassenbewohner sich ihre Postion fuers Fastenbrechen in Zellophan packen liessen und zu Hause verzehrten.

Und dennoch verlief mein weiteres Verschwinden noch nicht reibungslos, denn nachdem ich mich (altbewaehrt) die Stunden bis Mitternacht auf den Wartestuehlen der Station quer ausstreckte, wurde ich aber in den letzten Tagesminuten unruhig, denn zwar war die syrische Busunternehmerfamilie im klimatisierten Buero anwesend, und die Zuwendung des stattlichen Vaters zum kleinen Soehnchen zu Herzen gehend, aber weder vom fuer Mitternacht angekuendigten Bus in die Tuerkei, noch von weiteren Fahrgaesten war irgendeine Spur zu sehen, und auf mein Nachfragen hin hatten Vater, Bruder wie Sohne ploetzlich wieder das Englisch verlernt. So war auch diese naechtliche, fast menschenleere Halle, in der der Fernseher seit Stunden sein Werbeprogramm herausplaerrte und das angrenzende Lokal wie auch das Geschaeft geschlossen, aber Kiosk und Toılette geoffnet waren, wieder zum Korridor geworden, in dem ich mich wiederum dem Scheitern ausgesetzt fand. Und als dann eine halbe Stunde spaeter der Bus tatsaechlich erschien, war ich gerade auf der Toilette und gefaehredete selbst beinahe meine Abreise.

Zu solchen Korridoren waren Tripolis und Homs geworden, wo ich nicht einmal bis zur Mitte vordrang, spaeter dann noch Antakya, wo ich nach dem Fruehstueck eine halbe Stunde hineinging, ohne den Orontes, den ich vom Bus aus voll Wasser gesehen habe, noch eine andere bekannte Stelle zu finden, bevor ich zum Bus zurueckkehren musste, so gross war die Stadt inzwischen gewachsen. İskenderum sah ich zum ersten Mal aus der Ferne in der Bucht liegen, in Urfa konnte ich, obwohl wir es lange durchquerten, nicht einmal die Nemrud-Burg von Weitem sehen. Und da das Nichterfahrene schwerlich Sprache werden kann, waere von diesem stillen Ende der Reise nichts weiter zu erzaehlen als die Quadrate der Felder, die unterhalb des Taurusgebirges von strohgelb bis dunkenbraun in allen Farben in der Spaetnachmıttagssonne liegen, deren Raender von graubraunen Basalttruemmern eingefasst sind und mit den langen Schatten noch schaerfer und plastischer hervortreten. Oder die gruenbewaldeten Haenge seit Antakya über dichtgedraengten Feldern von Gemüse und Mais, Tabak und Tee und wahrscheinlich Baumwolle, oder besser noch die kleinen Szenen von Maennern bei Schafen oder Rindern, die manchmal auf die Autobahn kommen, oder saecketragenden Frauen. Nur über die unzaehligen Neubauten wuerde ich niemals ein Wort verlieren, da ich schon viel zu oft meine Meinung ueber die Menschenvermassung breitgetreten habe, deren Skelette aus rundlichen Platten bestehen, die zwischen senkrechte Staebe aufgespannt sind und wie Kraken am Land hocken. Wenn sich dann Haut darüber spannt, werden es rosa, grüne und gelbe Würfel und Quader mit Balkonreihen, damit die einstmals orientalische Stadt nun bis zum Horizont wachsen kann und die nach wie vor staubigen Strassen scharfe Schatten bekommen.

Zuletzt ist das verzoegerte Verschwinden in ein Erscheinen ausgelaufen, naemlich das neuerliche Erscheinen eines Stadtrandes vor Diyarbakır, und bald darauf, wieder ueber lange Korridore, erschienen jene beiden Kirchen, die ich bei den beiden letzten Besuchen nicht und nicht finden konnte, nebeneinander die syrisch-orthodoxe Jungfraumarienkirche und die protestantische, und mit beiden Pfarrern war ich augenblicklich im Gespraech und werde morgen die Messe besuchen koennen, aber wiederum war das Verschwinden das Schwierigere in den stockfinsteren Labyrinthgaesschen, sodass ich eine ganze Anzahl ernster Helfer benoetigte, um wieder ans Licht zu kommen.

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Die Phoenizier

Jesus stieg mit ihnen den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon
strömten herbei. Sie alle wollten ihn hören und von ihren Krankheiten geheilt werden.
(Lk 6,17f)

Die Phoenizier als grosse Hoerer?
Bekannt waren sie als Seevolk und Haendlervolk. Tyrus und Sidon ihre Hauptniederlassungen, und als Haefen von grosser Bedeutung, besonders zum Verschiffen des wertvollen Holzes aus dem Libanon. Die Pharaonen, die Assyrer, Nepukadnezar, Griechen, Roemer, Araber, zuletzt ruecksichtslos Osmanen und dann Briten bedienten sich der Zedern zum Bau ihrer jeweiligen Palaeste und Kriegsmaschinen. Das hat die Wirtschaft belebt.
Aber Phoenizier als Hoerer?

Jesus brach auf und zog von dort in das Gebiet von Tyrus. Er ging in ein Haus, wollte aber, dass niemand davon erfuhr; doch es konnte nicht verborgen bleiben. (Mk 7,24)

Was kann Jesus dort gesucht haben?
Wollte er Geschaefte machen? Wollte er den Hafen sehen? Eine Reise machen?
Und warum diese Heimlichkeit?
Jesus geht in ein Haus, und weil das bekannt wird, kommen Menschen zu ihm - von einer Phoenizierin wird berichtet. Und es kommt zu einem kurzen Wortwechsel: in scharfen Worten werden Positionen umrissen und anerkannt. Und da offenbart sich Glauben. In der Bitte. In der Anerkennung des Gnadenwirkens und darin, sich dieser Gnade auszusetzen.

Eine Reisetheologie der Evangelien.

Vor Sidon liegt heute das Palaestinenserlager, vor dessen Besuch im Reisefuehrer abgeraten wird. Der Bus durchquert es eilig. Im Libanonkrieg haben es die Israeli bombardiert.
Im Hafen liegen Fischerboote.
Ein alter Mann spricht mich in gepflegtem Englisch an. Er hat in USA studiert und eine Firma geleitet, jetzt ist er in Pension und fuehrt, anstatt zu Hause herumzusitzen, die alte Greisslerei seines Vaters weiter. Er fragt mich nach den Aussagen der Bibel: Ob nicht die Israeliten urspruenglich aus Aegypten kommen? Stammt nicht Mose von dort? Also nicht Palaestina? - Ich muss ihn enttaeuschen. Abraham wurde dieses Land versprochen, lange vor Mose.

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Tyrus habe ich umschritten von der christlıchen Seıte, am Meer entlang. Vom Meer hab ich die Kolonaden betreten und ln den Sxchutthaufen nach den Schalen der Purpurschnecken gestoebert - wieder vom Rand her.

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Reisetheologie

Muesste ich jemand mein Reisen erklaeren, so wuerde ich es bestimmt eher als Arbeit denn als Erholung darstellen. Anstatt Entspannung fordert es ein An-sich-Halten, waehrend man sich doch als Urlaub ein Sich-gehen-Lassen vorstellt. Die Wuestensonne ueber Aqaba, das Haendlergeschrei in Amman, die Benzin-und Staubluft von Damaskus oder die schwuele Hitze Beiruts locken auch keine Leute bloss zum Ausruhen her. Ich haette eher von meiner Neugier zu sprechen, die Originale sehen zu wollen, und dem, worueber man lesen kann, selber nachzugehen. Es wuerde sich als Rekontruktion des Tatsaechlichen herausstellen, wenn die Ruinen von Tyrus bestiegen und nach dem historischen Abfallhaufen der Purpurschnecken unter Gestruepp gestoebert wird, oder wenn man mit dem Erzbischof von Tur Abdin sprechen kann. Solche Taetigkeit wuerde sich als ein Durchspannen des Raumes mit dem eigenen Koerper beschreiben lassen, ganz so, wie wenn ich aus Aerger ueber die fortgesetzte Unberechenbarkeit der Taxifahrer vom Talgrund in Petra zum Hotel auf der Anhoehe darueber lieber zu Fuss die Kehren hinaufsteige und dabei die frische Brise und die Ausblicke geniesse. Von der Koerperlichkeit der Durchmessung koennte ich bald auf die Erfahrung der Widerfahrnis zu sprechen kommen. Jeden Tag ereignet sich Unvorhersehbares - das Reisen provoziert das geradezu. Die Ankunft in der unbekannten Stadt, die Begegnung mit den Bewohnern. Der Orient wurde ja geradezu als Gegenbild zum bekannten Europa erfunden, um daran Exotisches und Fremdes anzubinden, das man wohl auch aus den eigenen Lebensbereichen kennt.
Aber die Aussetzung ist auch eine Selbsterprobung. Es geht um ein Standhalten, darum, selbst eine Antwort zu finden sowie das Prekaere zu bestehen. Die eigene Infragestellung mag durch Hitze oder Laerm entstehen, durch die Organisation von Transportmitteln und Reisezielen, viel mehr noch in der Arbeit , die besuchten Laender und Gesellschaften zu verstehen, liegen. Somit erscheint Erfahrung als ein Ringen um Tatsaechlichkeit, das koerperlich zu vollziehen ist, und dabei das eigene und fremde Prekaere zu bestehen. Das und Aehnliches koennte ich anfuehren, um einen analztischen Begriff von Erfahrung aufzubauen, der in unserer synthetischen und erfahrungsarmen Welt konkurrenzfaehig ist - im Sinne von Abenteuerreisen kontra Computerspielen. Aber damit waere weder das Existenzielle noch das Religioese auch nur beruehrt, gleich ob es sich um eine Reise nach Mesopotamien oder auf die Malediven handelte.

Die Existenz ersteht erst angesichts des Todes. Das menschliche Sein erweist sich in dem, was es sein laesst, anstatt nicht zu sein. (In meinem Fall kuendigt sich die Naehe des Todes jedesmal vor Reiseantritt in einer unterschwelligen Nervositaet. Die Natur spuert, dass es um etwas geht.) Die Todesbegegnung liegt dabei weniger in der besonderen Gefaehrlichkeit bereister Laender oder in einem drohenden Flugzeugabsturz, sondern es geht um das streng Jenseitige des Reisens selbst, um das Eintreten in ein Unbekanntes. Die Fremdheit des Landes ist ein Vorschein des Todes - und darum muss sie im Wesentlichen auch allein bestanden werden. Dem Tod entspricht die Einsamkeit und Ausfluchtlosigkeit.
Noch viel wichtiger aber ist das Zweite, das sich aus diesem Negativen ergibt. In diesr angespannten Situation, in der du sehr angewiesen bist auf begegnende Zeichen und eigene Entscheidungen, sie zu lesen, erfaehst du naemlich, dass du dennoch nicht abstuerzt, sondern unverhofft aufgefangen wirst durch eine unerwartete Wende oder eine Begegnung. Vor dem ungreifbaren Nichts des Todes faellst du dennoch nicht: das ist die religioese Relevanz des ausgesetzten Reisens, die man traditionell Gnade nennt.
Uebrigens lese ich auch das heutige Sonntagsevangelium (Lk 14, 1-14) gerade so. Jener Gastgeber, der Arme, Krueppel, Lahme und Blinde bewirtet, laesst sich auf unabwaegbare Situationen ein, sowohl was die Tischmanieren, wie auch was die eroeffnete Beziehung betrifft. Es ist keine Frage der Freigiebigkeit, sondern der eigenen Auslieferung und Blossstellung, die dadurch entsteht, dass die Begegnung sich nicht mehr in einer buergerlich geregelten Betriebsamkeit entladen und verlaufen kann. In dieser riskanten Investition des Gastgebers ist unschwer die Gnade wiederzuerkennen - und genaugenommen ist das Subjekt dieser Gnade keiner der handelnd Beteiligten, weder der Gastgeber noch die Geladenen.
Reisetheologie ist Gnadentheologie. Heute hat mich die Gnade in ein Franziskanerkloster gefuehrt, wo ich diese Woche residieren darf. Libanon ist zur Haelfte ein christliches Land.

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Amman, Damaskus und Beirut

Zweimal hab ich Amman heute verlassen nach Norden hin. Nach Jerash unter einem Storchenschwarm. Nach Damaskus mit vollem Gepaeck - es war nichts zu machen mit der Post, um Unnoetiges heimzuschicken.
Schon lange hab ich mich gewundert ueber die langsame Fahrweise des Fahrers. Am Grenzuebergang hat er alle zur Eile angetrieben, ist sogar wegen eines fehlenden Stempels nochmals zurueckgefahren, auf der falschen Seite. Als er dann, eine halbe Stunde nach der Grenze, rechts an den Rand fuhr, um einige Kisten auszuladen, die er transportiert hatte, hatte noch keiner etwas bemerkt. Dann fiel mir zuerst das starke Parfuem auf, als der Fahrer vor mir Platz nahm. Aber wir waren schon eine Weile unterwegs, bis sich herausstellte, dass ein neuer Fahrer den vorigen abgeloest hatte, der mit einem Kollaps oder Herzanfall unterwegs ins Spital waere. Da war eine Weile Betroffenheit im Fond.

Was Damaskus betrifft, da werfen die Bilder vom Palaestinenserviertel ein viel zu guenstiges Bild auf die Stadt. Denn halb verfallene Gebaeude und unwahrscheinlich viel Unrat sind ueberall vorherrschend, und selbst Neubauten, die manchmal mitten auf der Strasse entstehen, machen den Ort nicht wohnlicher.

Der andere Fahrer nach Beirut war bestimmt ueber 70 und griff sich beim Reden auf den Kehlkopf, damit etwas zu hoeren war. Er steuerte einen Chevrolet (etwas juenger als er selbst), der mich erst lehrte, was eine Limousine war. Die beiden anderen Fahrgaeste waren Saenger einer Band, die arabische Musik spielte und angeblich heute einen Auftritt hatte. Aber nach dem Fastenbrechen in einem Imbisslokal schliefen sie beide sorglos auf der Rueckbank. Des Fahrers anfaengliche Eile begriff ich bald, denn wenn er bei Tageslicht ueber die Strasse herrschte, so schien er bei Dunkelheit schlecht zu sehen und zog immer wieder zur Mitte, besonders bei Kurven. Wiederholte Reinigung der Windschutzscheibe mit reinem Wasser half da nicht, eher, sich an einen anderen Wagen anzuhaengen, dessen Ruecklichter Orientierung gaben. Trotzdem kam ich in der Stadt und erreichte ohne die ueblichen Taxibetrugspiele mein Hotel.


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Wiedersehen mit Obama

Er hat mich gleich erkannt und mir einen scheuen anerkennenden Blick zugeworfen. Ich war der erste Gast im Jabri heute, im ersten Stock am selben Tisch gegenueber der Treppe. Sofort bekam ich die englische Speisekarte, aber nicht einmal ein Cola, weil das Fasten heut noch nicht beendet war. Bald nach mir stroemten Menschen ins Lokal, und alle wurden sofort bedient. Ich konnte ausfuehrlich beobachten, wie geschaeftig die Angestellten ueber Stiegen und zwischen Tischen eilten, waehrend ich eine halbe Stunde oder laenger mit dem Finger auf der Speisekarte den Blick eines Kellners einzufangen versuchte. Als Obama kam, gab es das Gewuenschte nicht mehr, aber ich sollte in den zweiten Stock kommen und mir selbst eine Speise aussuchen. Ich waehlte Huehnchen mit Mangold und gewuerztem Getreide, wahrlich Leckerbissen, die ich unbedingt zuhause zubereiten muss.

Ich hatte viel Zeit, das Durcheinander zu studieren, das mir schon beim ersten Besuch aufgefallen war. Dass die einen beim Kellner, die andern aber beim Buffett bestellten, beguenstigte sicherlich die Uebersicht nicht. Zwar wurde jede Bestellung auf einem Zettelchen festgehalten, aber wohl ohne Vermerk fuer den Tisch, an dem die Gaeste sassen. Auch schien die Zustaendigkeit der Kellner nicht festgelegt zu sein. So kam es vor, dass ein Gast bei der Kassa mit dem Teller erschien und eine falsch servierte Speise zurueckbrachte. Andererseits wurden Speisen dort aufgetuermt, fuer die sich der Adressat nicht ermitteln liess. Dass der groesste Kellner, der mir die Niedrigkeit des Plafonds erst bewusst machte, jedesmal, wenn er ernst mit einem grossen Tablett die Stiegen herabkam, mit sicherem Griff den Regler der Musikanlage lauterstellte, sodass der Koransaenger durchs Lokal plaerrte, und der nachfolgende Kellner genauso geuebt wieder zurueckdrehte, wird die Lage nur wenig beruhigt haben. Aber nichteinmal, als ein Bub sich in einem unbemerkten Moment heranpirschte und alle Regler der Anlage verdrehte, entkam irgendjemand ein Laecheln oder eine andere als eine gereizte Geste.

Ueberhaupt war kein froehlicher Mensch im Lokal, die Gaeste ernst und angespannt, die Angestellten unter grossem Druck. Die zarte junge Frau am Nebentisch blickte streng und gefasst unter ihren schmalen, spitzen Augenbrauen, das schmale Gesicht scharf umrandet vom weissglaenzenden Kopftuch. Weder fuer den Mann noch fuer das Toechterchen hatte sie ein Laecheln, auch wenn sie es bei seinen Gehversuchen durchs Lokal verfolgen musste. Auch auf der Strasse, wo heute Freitag zumindest seit dem Nachmittag der gleiche geschaeftige Betrieb herrscht wie jeden Tag, herrscht grosse Anspannung. Irgendwie scheint man sich durch den Ramadan hindurchzuquaelen.


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An den Wassern von Jordanien

Das Tote Meer ist kein Badesee.
Zuhause glaubt man mir nicht, dass ein Bad
ein wenig Kuehlung geben soll.
Immerhin sind die Steine
weniger spitz als anderswo
und wegen der Kruste
auch nicht rutschig.
Der Sand ist weich, und leicht geht man hinein
wie in Spagettiwasser.
Schwimmen gab ich schnell auf:
du liegst wie auf der Luftmatratze
und strampelst in die Luft.
Ausserdem ist dann weit zu sehen,
dass ich nichteinmal eine Badehose habe
an dieser menschenleeren Ecke des Meeres.

Betanien wird hier immer
als Ort des Taeufers gesehen, und natuerlich
werden wir genau an die Stelle gefuert, an der Jesus von Johannes...
Der Huegel, von dem aus Elias in den Himmel -
und der Bach Kerit, der den Propheten genaehrt,
sind in der Wahrnehmung unserer Fuehrer ueberhaupt verschwunden.

Aber was ist mit Lazarus? Und erst recht mit
Marta und Maria, die ich doch kenne?
Von denen spricht hier keiner.
Die sind von der
anderen Seite des Jordan.

Heute haben sich zwei Schwestern und ein Bruder
- nicht selbst getauft, sondern erinnert ans Getauftsein:
ploetzlich verschwunden aus der Gruppe, sind sie dann
im weissen Kleid erschienen und ins Wasser gestiegen
und untergetaucht unter den Fotografenaugen der restlichen Familie,
die aus Latakia angereist ist, Armenier,
und unter denen des Grenzsoldaten.
Auch irakische Christen waren da aus Arbil,
und mit Jordanwasser in den Plastikflaschen stiegen wir wieder hinaus in die Wueste,
eine richtige Pilgergruppe,
und zerstreuten uns

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In der Wueste schwimmen

Ganz und gar fremd, wer zuerst aus der fremden Stadt kommt, dann sich mit dem Stein befreundet und ihn lesen lernt, viel schneller als die Landessprache, und dann hier landet.

Kilometerlanger Strand, gluehend heiss, wie ueberbelichtet.
Da und dort ein Sonnenschirm,
vereinzelt in den Schatten Geduckte.

Auch drueben im Restaurant
eine eigene, mit sich beschaeftigte Welt:
die modellierten Damen und Herrn am Pool,
ihre Extrawuensche an die Kueche,
die eitlen glatzkoepfigen Kellner mit blossem Oberkoerper,
die bei der ersten Gelegenheit im Schatten bei den Maedchen sitzen
und mich von dort ermahnen, vor dem Poolsprung zu duschen -
das alles gibt sich wie ein Bild, das ich schon
in der Zeitung gesehen zu haben meine,
und ich warte auf die Werbeeinschaltung.

Das Interesse gilt dem Tauchsport,
ueberall die Flaschen und Flossen,
das Meer scheint hier nebensaechlich.
Gerade deshalb tapse ich hinein
und hole mir nach ersten blossaeugigen Tauchversuchen
doch eine Brille.

Und nur wenige Schritte vom Ufer
beginnt das Korallenriff
mit Waeldern von Tentakeln und Stacheln,
sanft wogend und schwebend.
Die unwahrscheinlichsten Wesen
(die alle vom Naturfernsehen kennen)
torkeln zwischen Vorspruengen,
schluepfen in Loecher und
gleiten ueber den flachen Sand,
und es scheint, dass sie mich ein wenig
von der Seite beobachten, nur so nebenher,
als sollte ich es nicht bemerken.
(Die Hotelbewohner werden es ihnen abgeschaut haben.)

Ich habe damit zu tun, in der Schwebe zu bleiben
und nicht anzustossen an der Wunderwelt,
die zerbrechlich erscheint.
Dass ich mich ganz in die Selbstvergessenheit verwandle,
verhindert fruehzeitig das Salzwasser, das immer wieder in die Brille sickert,
ich bin da ungeuebt.
Leichten Herzens verlasse ich die Sonderwelt
und treffe augenblicklich auf Kumar

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Petra im Stein

Ich drang in den Talkessel von Petra so ungestuem und ahnungslos vor wie einst die Nabataeer, Unstete und Neugierige wie ich. Ohne System Schritt fuer Schritt, versuchte ich den Felsen etwas abzugewinnen und gleichzeitig mich vom geschaeftigen Treiben der Ansaessigen, die ihre Pferde, Kamele und Esel anboten, freizuhalten. Einerseits der Stein in seinen Farben, in vorsichtigen Linien und zarten Schattierungen, sanften und wie von geschmolzenem Wachs gebildeten Linien, und andererseits verschiedenste kuenstliche Gestaltungen, die erst bei laengerem Hinsehen nach und nach hervortraten.

Doch schliesslich ist mir klar geworden, was mich hier fesselt: Es ist keine Kunst, die ueber das Material triumphiert, sondern das Geschaffene verbleibt im Felsen, tritt nur in Andeutungen hervor, in Hinweisen. Da sind die Treppen, fuer den Weg nach oben. Und da sind Oeffnungen - bemerkenswert, dass kaum jemand hineingehen wollte. Und da sind die Raeume, die sich oeffnen, wenn die Felsen ploetzlich auseinandertreten. Und wirlich, als wuessten sie es im Inneren, verteilten sich die Besucher wie auf ein Wort hin ueber den Platz, und es wurde ein wenig stiller, fast andaechtig, und die Araber blinzelten muede von ihren Schattenplaetzen.


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In Amman

Eigentlich war mir die Stadt schnell sympathisch. Zwischen Huegeln sind wir eingezogen.
Obwohl ich mit dem bekannten Taxispiel hineinkam: Ankunft am Busbahnhof am Stadtrand, sofort von unaufhoerlich englischsprechendem Taxifahrer in Beschlag genommen und zu einem/dem besten/dem billigsten Hotel gebracht (bis dahin noch keine Landeswaehrung und auch keine Ahnung vom Wechselkurs), dafuer den zehnfachen Preis verrechnet und im Luxushotel in der Oberstadt abgeliefert, wo ich erst einen Bankomat suchen musste. Nun gut, im Luxus erholt man sich besser fuer die Wirklichkeit. Hinter der schwarzen Kunststofffolie scheint ohnehin dasselbe Sonnenlicht wie anderswo.
Zur Orientierung bin ich gleich einmal die Khalid Ibn al Walid runtergelaufen, eine Art kilometerlanger Kaerntnerstrasse mit Boutiquen und Handyshops. Als ich bei der Zitadelle entlang ging und dann auch das roemische Theater fand, hatte ich einen Eindruck von der Lage.
Am Rueckweg sah ich in der Daemmerung ein Hotel, dessen Veranda mich freundlich anlaechelte - ich erfragte den Preis. Von da an begann ich meinen Umzug zu erwaegen.

Die Drohung, der Zimmerpreis waere nur bei mehreren Naechten zu halten, erwies sich am naechsten Tag als unbegruendet, sie liessen mich ziehen. Ich schritt auf die Unterstadt zu mit meinem ganzen Gepaeck, diesmal die King Hussein-Street, und meine Schaetzung erwies sich als richtig, ich kam bis zum Theater. Aber ueber die abendliche Erscheinung des einladenden Hotels war ich mir etwas unklar. Ich durchstreifte das Gebiet nach dem Rastersystem und versuchte, mein Gedaechtnis zu ergruenden. Dazu soll man wissen, dass dieses Gelaende am Hang liegt und durch steile Stiegen verbunden wird - das Rastersystem war also dreidimensional. Als ich es schliesslich fand, hatte es jedes Geheimnis verloren, und der Vormittag ging in den Mittag ueber.

Immerhin hatte ich damit jetzt Position bezogen und Boden unter den Fuessen. Sogleich machte ich mich wieder auf den Weg und erstieg die Zitadelle, die auf einem der Stadthuegel lag und Zeugnisse der Vergangenheit bot. Da waren Tempel, Kirche und Moschee gleichermassen in Grundmauern und Truemmerr zerlegt. Dahinter jedoch war die in allen Richtungen gleiche Stadt aufgebaut, und es war unklar, ob als Zuschauer oder gleichgueltig abgewendet.

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Der Barbier hatte sich bereits grinsend umgewendet, als ich in seinem Ruecken am Wartestuhl Platz nahm, und seinen Kunden eilig fertig gekaemmt. Als ich dran war, war der Stuhl wie ein Thron. Eifrig nickend, fuehrte er dann nacheinander alle Istrumente vor, und sei es auch nur zu einem winzigen Zupfen oder Schnippseln. Von allen Seiten bearbeitete er meinen Bart wie ein Taenzer, immer wieder mit unverhohlener Freude in den Spiegel blickend. Am Ende, als ich mich zufrieden zeigte, rueckte er mit seinem Englischbuch hervor, das in der Schublade wartete, und fuehrte mir alle Lektionen vor. (Wenn ich doch nur halb soviel Arabisch koennte!)

Ich bin weit durch die Stadt geschweift auf der Suche nach einem Abendessen. Es gibt viele Imbissbuden, aber nur wernige Restaurants, und im Ramadan haben sie nur eine kurze Spanne geoeffnet. Schliesslich habe ich ganz nah beim Hotel ein schoenes Lokal gefunden, das mir ein Taxifahrer gezeigt hat, als ich davor stand: denn es war im ersten Stock. Eine lange englischsprachige Speisekarte mit lauter fremdklingenden Namen. Ich bekam etwas wie in Gemuesesuppe serviertes zartweiches Lamm mit einer Portion gewuerzten Reis, die allein eine ganze Familie satt gemacht haette. Ich war in einen Winkel platziert worden gegenueber dere Treppe, wo ich alle Ereignisse zwischen den Angestellten mitbekommen konnte. Der Ober sah wie Barak Obama aus, nur dass er etwas Fahriges hatte und watschelte. Er kommandierte einen Lehrling herum, der sich geschickter anzustellen schien als sein Meister. An jeder Speisenlieferung aus der Kueche schien er etwas herumzumaekeln. Als dann eine hoehergestellte Person an der Kassa Platz nahm, der waehrend eines Telefonats umstaendlich tuerkischer Kaffee serviert wurde, schien auch ohne Verstaendnis des auf Arabisch Gesprochenen ein Vorbehalt gegenueber dem Kellner greifbar zu sein wie eine Wand, an der jede Erklaerung, jeder gutgemeinte Versuch abprallt wie an einer Glasscheibe. Genauso, dachte ich, sind doch die Palaestinenser von den Englaendern vorgefuehrt worden, die doch redlich immer wieder neue Ansaetze gesucht haben, um deutlich zu machen, dass sie ihr Land selbst bestimmen und regieren wollen, und die Englaender haben es nickend zur Kenntnis genommen und weiterhin die Juden bevorzugt.

Vom fluechtigen Leben

Al Mochejam heisst das Stadtviertel, wo die palaestinensischen Fluechtlinge leben. Seit 1948. Andere seit 1967. Ein Provisorium, das Programm geworden ist. Assad wurde gelobt fuer die sauberen Strassen des Stadtteils - das ist lange her -, aber einen Pass hat kein Palaestinenser bekommen. Man pflegt die Wunden der wiederholten Niederlage gegen die Israeli so, dass sie nicht heilen koennen. Mit Arafat stand Assad gut, weil sie dieselben Gegner hatten. Beide waren interessiert an dieser verfuegbaren, jederzeit mobilisierbaren Menschenmasse.
Vielleicht ist man schockiert in diesen Strassen, wenn man direkt von Europa kommt. Vom Dreck, vom Chaos und vom Staub. Aber wenn man zuvor Damaskus durchstreift hat, sieht man gar nicht soviel Unterschied. Inzwischen ist die ganze Stadt zum Lager geworden. Eineinhalb Millionen Bewohner vor dem Irakkrieg, jetzt ueber fuenf Millionen. Da ist die ganze Stadt zum Provisorium geworden.

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ein strom entspringt in eden, der den garten bewässertr, dort teilt er sich und wird zu vier hauptflüssen ... der vierte strom ist der euphrat

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