Die doppelte Sonntagsmesse

Die chaldaeische Kirche scheint beinahe aelter als die gesamte Christenheit, denn auch wenn sie sich direkt auf Apostelgründungen zurückführt, sind ausserdem noch Saeulen und andere Teile eines Römertempels eingemauert, und die Liturgiesprache ist diejenige Jesu und der Apostel.
Die drei oder vier in der Stadt verbliebenen chaldaeischen Familien nehmen vollzaehlich am Gottesdienst teil, und die Söhne des Priesters ministrieren fachkundig und singen auch schwierige Passagen vor. Sie ziehen den Vorhang auf und zu, schlurfen mit roten Plüschschlapfen durch den Altarraum und raeuchern in alle vier Himmelsrichtungen mit fachkundiger Laessigkeit. Der Prister schaut zum Heiligtum und winkt manchmal mit der Hand über die Schulter anscheinend zur Gemeinde hin. Am Ende verehren wir das Evangeliar mit einem Kuss und nehmen beilaeufig von den auf der Altarschranke abgestellten Brotstückchen.
Danach trifft sich die Gemeinde mit dem Priester, dem und dessen Eltern ehrfürchtig die Hand geküsst werden, auf Plastlkstühlen vor der Kirche, wobei Priester wie Gattin, die als einzige etwas Englisch können, bisweilen ein Wort an mich richten.

Gleich anschliessend ist gegenüber in einem schönen alten Wohnhaus ein protestantischer Gottesdienst, Hauskirche also, und jugendliche Musikanten spielen unbeschwert und singen mit der Gemeinde. Maenner geben Glaubenszeugnisse und lesen Bibelstellen, worauf jedesmal ein Lied gesungen wird, mit projiziertem Text. Ein Sprecher oder Animator lehnt hemdsaermelig am Pult oder betet mit erhobenen Haenden. Schliesslich werden Fladenbrot und Traubensaft durchgereicht, von deren Wandlung ich nichts gesehen habe. Vaterunser oder Schlusssegen habe ich nicht wahrgenommen, aber ein Gebet für die Kinder, die dafür nach vorn gekommen waren und das aus der Bank gesprochen wurde. Nach dieser Stunde gingen die Kinder in den Hof spielen, und es folgte die Predigt vom bisherigen Gitarristen, der die Glaeubigen eine Stunde lang aufmerksam lauschten, bisweilen sehr amüsiert. Es ging um Wahrheit, und ein Beispiei erzaehlte von einer Mutter, die ihrem Kind, nachdem es an der Tür geklopft hatte, zurief, sie waere nicht zu Hause, worauf das Kind zum Besucher sagt, Mutter haette gesagt, sie sei nicht zu Hause.
Die etwa 50köpfige Gemeinde besteht aus vielen jungen Leuten, einigen graumelierten Türken und drei Kopftuchtraegerinnen, sowie einigen auslaendischen Gaesten, und die meisten sangen und beteten mit, bisweilen mit ausgebreiteten Haenden. Anschliessend stand man ungezwungen und fröhlich beisammen, aber mit mir sprachen auch nur drei Personen, allerdings sehr persönlich.

Ob ich allerdings nun seit Byblos die Sprache wiedergefunden habe, laesst sich noch nicht genau beantworten, denn auch dazu braeuchte es Sprache. Aber wenigstens hab ich eine Gemeinde gefunden, und, wenn auch mit Mühe, den Ort, wo sie sich versammelt.
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ein strom entspringt in eden, der den garten bewässertr, dort teilt er sich und wird zu vier hauptflüssen ... der vierte strom ist der euphrat

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