Reisetheologie
Muesste ich jemand mein Reisen erklaeren, so wuerde ich es bestimmt eher als Arbeit denn als Erholung darstellen. Anstatt Entspannung fordert es ein An-sich-Halten, waehrend man sich doch als Urlaub ein Sich-gehen-Lassen vorstellt. Die Wuestensonne ueber Aqaba, das Haendlergeschrei in Amman, die Benzin-und Staubluft von Damaskus oder die schwuele Hitze Beiruts locken auch keine Leute bloss zum Ausruhen her. Ich haette eher von meiner Neugier zu sprechen, die Originale sehen zu wollen, und dem, worueber man lesen kann, selber nachzugehen. Es wuerde sich als Rekontruktion des Tatsaechlichen herausstellen, wenn die Ruinen von Tyrus bestiegen und nach dem historischen Abfallhaufen der Purpurschnecken unter Gestruepp gestoebert wird, oder wenn man mit dem Erzbischof von Tur Abdin sprechen kann. Solche Taetigkeit wuerde sich als ein Durchspannen des Raumes mit dem eigenen Koerper beschreiben lassen, ganz so, wie wenn ich aus Aerger ueber die fortgesetzte Unberechenbarkeit der Taxifahrer vom Talgrund in Petra zum Hotel auf der Anhoehe darueber lieber zu Fuss die Kehren hinaufsteige und dabei die frische Brise und die Ausblicke geniesse. Von der Koerperlichkeit der Durchmessung koennte ich bald auf die Erfahrung der Widerfahrnis zu sprechen kommen. Jeden Tag ereignet sich Unvorhersehbares - das Reisen provoziert das geradezu. Die Ankunft in der unbekannten Stadt, die Begegnung mit den Bewohnern. Der Orient wurde ja geradezu als Gegenbild zum bekannten Europa erfunden, um daran Exotisches und Fremdes anzubinden, das man wohl auch aus den eigenen Lebensbereichen kennt.
Aber die Aussetzung ist auch eine Selbsterprobung. Es geht um ein Standhalten, darum, selbst eine Antwort zu finden sowie das Prekaere zu bestehen. Die eigene Infragestellung mag durch Hitze oder Laerm entstehen, durch die Organisation von Transportmitteln und Reisezielen, viel mehr noch in der Arbeit , die besuchten Laender und Gesellschaften zu verstehen, liegen. Somit erscheint Erfahrung als ein Ringen um Tatsaechlichkeit, das koerperlich zu vollziehen ist, und dabei das eigene und fremde Prekaere zu bestehen. Das und Aehnliches koennte ich anfuehren, um einen analztischen Begriff von Erfahrung aufzubauen, der in unserer synthetischen und erfahrungsarmen Welt konkurrenzfaehig ist - im Sinne von Abenteuerreisen kontra Computerspielen. Aber damit waere weder das Existenzielle noch das Religioese auch nur beruehrt, gleich ob es sich um eine Reise nach Mesopotamien oder auf die Malediven handelte.
Die Existenz ersteht erst angesichts des Todes. Das menschliche Sein erweist sich in dem, was es sein laesst, anstatt nicht zu sein. (In meinem Fall kuendigt sich die Naehe des Todes jedesmal vor Reiseantritt in einer unterschwelligen Nervositaet. Die Natur spuert, dass es um etwas geht.) Die Todesbegegnung liegt dabei weniger in der besonderen Gefaehrlichkeit bereister Laender oder in einem drohenden Flugzeugabsturz, sondern es geht um das streng Jenseitige des Reisens selbst, um das Eintreten in ein Unbekanntes. Die Fremdheit des Landes ist ein Vorschein des Todes - und darum muss sie im Wesentlichen auch allein bestanden werden. Dem Tod entspricht die Einsamkeit und Ausfluchtlosigkeit.
Noch viel wichtiger aber ist das Zweite, das sich aus diesem Negativen ergibt. In diesr angespannten Situation, in der du sehr angewiesen bist auf begegnende Zeichen und eigene Entscheidungen, sie zu lesen, erfaehst du naemlich, dass du dennoch nicht abstuerzt, sondern unverhofft aufgefangen wirst durch eine unerwartete Wende oder eine Begegnung. Vor dem ungreifbaren Nichts des Todes faellst du dennoch nicht: das ist die religioese Relevanz des ausgesetzten Reisens, die man traditionell Gnade nennt.
Uebrigens lese ich auch das heutige Sonntagsevangelium (Lk 14, 1-14) gerade so. Jener Gastgeber, der Arme, Krueppel, Lahme und Blinde bewirtet, laesst sich auf unabwaegbare Situationen ein, sowohl was die Tischmanieren, wie auch was die eroeffnete Beziehung betrifft. Es ist keine Frage der Freigiebigkeit, sondern der eigenen Auslieferung und Blossstellung, die dadurch entsteht, dass die Begegnung sich nicht mehr in einer buergerlich geregelten Betriebsamkeit entladen und verlaufen kann. In dieser riskanten Investition des Gastgebers ist unschwer die Gnade wiederzuerkennen - und genaugenommen ist das Subjekt dieser Gnade keiner der handelnd Beteiligten, weder der Gastgeber noch die Geladenen.
Reisetheologie ist Gnadentheologie. Heute hat mich die Gnade in ein Franziskanerkloster gefuehrt, wo ich diese Woche residieren darf. Libanon ist zur Haelfte ein christliches Land.
Aber die Aussetzung ist auch eine Selbsterprobung. Es geht um ein Standhalten, darum, selbst eine Antwort zu finden sowie das Prekaere zu bestehen. Die eigene Infragestellung mag durch Hitze oder Laerm entstehen, durch die Organisation von Transportmitteln und Reisezielen, viel mehr noch in der Arbeit , die besuchten Laender und Gesellschaften zu verstehen, liegen. Somit erscheint Erfahrung als ein Ringen um Tatsaechlichkeit, das koerperlich zu vollziehen ist, und dabei das eigene und fremde Prekaere zu bestehen. Das und Aehnliches koennte ich anfuehren, um einen analztischen Begriff von Erfahrung aufzubauen, der in unserer synthetischen und erfahrungsarmen Welt konkurrenzfaehig ist - im Sinne von Abenteuerreisen kontra Computerspielen. Aber damit waere weder das Existenzielle noch das Religioese auch nur beruehrt, gleich ob es sich um eine Reise nach Mesopotamien oder auf die Malediven handelte.
Die Existenz ersteht erst angesichts des Todes. Das menschliche Sein erweist sich in dem, was es sein laesst, anstatt nicht zu sein. (In meinem Fall kuendigt sich die Naehe des Todes jedesmal vor Reiseantritt in einer unterschwelligen Nervositaet. Die Natur spuert, dass es um etwas geht.) Die Todesbegegnung liegt dabei weniger in der besonderen Gefaehrlichkeit bereister Laender oder in einem drohenden Flugzeugabsturz, sondern es geht um das streng Jenseitige des Reisens selbst, um das Eintreten in ein Unbekanntes. Die Fremdheit des Landes ist ein Vorschein des Todes - und darum muss sie im Wesentlichen auch allein bestanden werden. Dem Tod entspricht die Einsamkeit und Ausfluchtlosigkeit.
Noch viel wichtiger aber ist das Zweite, das sich aus diesem Negativen ergibt. In diesr angespannten Situation, in der du sehr angewiesen bist auf begegnende Zeichen und eigene Entscheidungen, sie zu lesen, erfaehst du naemlich, dass du dennoch nicht abstuerzt, sondern unverhofft aufgefangen wirst durch eine unerwartete Wende oder eine Begegnung. Vor dem ungreifbaren Nichts des Todes faellst du dennoch nicht: das ist die religioese Relevanz des ausgesetzten Reisens, die man traditionell Gnade nennt.
Uebrigens lese ich auch das heutige Sonntagsevangelium (Lk 14, 1-14) gerade so. Jener Gastgeber, der Arme, Krueppel, Lahme und Blinde bewirtet, laesst sich auf unabwaegbare Situationen ein, sowohl was die Tischmanieren, wie auch was die eroeffnete Beziehung betrifft. Es ist keine Frage der Freigiebigkeit, sondern der eigenen Auslieferung und Blossstellung, die dadurch entsteht, dass die Begegnung sich nicht mehr in einer buergerlich geregelten Betriebsamkeit entladen und verlaufen kann. In dieser riskanten Investition des Gastgebers ist unschwer die Gnade wiederzuerkennen - und genaugenommen ist das Subjekt dieser Gnade keiner der handelnd Beteiligten, weder der Gastgeber noch die Geladenen.
Reisetheologie ist Gnadentheologie. Heute hat mich die Gnade in ein Franziskanerkloster gefuehrt, wo ich diese Woche residieren darf. Libanon ist zur Haelfte ein christliches Land.
weichensteller - 31. Aug, 07:49
Sein (lassen) oder nicht sein
Da fühl´ ich denn mich schauernd,
wie niemals noch, allein,
und der ich bin grüßt trauernd
den, der ich könnte sein!
(F. Hebbel)
Vergangenen Sonntag bin ich – übrigens durch eine Sonntagspredigt – auf dieses Hebbel-Zitat gestoßen. Es ist dem Gedicht „Jetzt ist die Nacht gekommen …“ entnommen. Ich will es dir nicht vorenthalten, denn für mich stellt deine „Reisetheologie“, insbesondere oben angeführter Satz nahezu eine Antwort auf die Trauer des Dichters dar.
Es ist berührend und lehrreich, einen Teil deines Erfahrungsweges zu deinem Selbst-Sein mitverfolgen zu dürfen.
lgU