Byblos und das Ende der Sprache

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In Byblos hat mich die Sprache verlassen.
Seither kann ich meinem Bleistift nur mehr Allgemeinplaetze entwinden, die schon vor der Niederschrift nichtssagend sind. Bereits auf Sidon konnte ich mir keinen Reim machen, auf den Fischbasar und die Palaestinenser. Auch fuer Tyros fehlen mir die Worte, das ich still und alleine umschritten habe und vom Meer her betreten, in Schutthaufen nach Purpurschnecken stoebernd - wieder vom Rand her.

In Jerash hatte mich Mrman zu Recht gefragt, wo denn zwischen den roemıschen Prachtstrassen, Theater und Tempeln denn die Leute gewohnt haetten: Nun, in Byblos gab es die Wohnhaeuser, bronzezeitlich!, indes hat Joanna und Marie-Noel das Grabungshaus viel mehr beeindruckt, das in altlibanesischem Stil errichtet war. So verschwanden also die Wohnhaeuser noch einmal nach Jahrtausenden, denn auch mich interesslerte mehr der Obeliskentempel: da hatte man den Stein selbst sprechen lassen duer eine gottliche Anwesenheit, ohne ihn nach Menschengestalt zu formen.
Und Vanessa, Joseph, Sou-yn und die andern sind erst recht nicht ln Worte uebersetzbar, denn wie soll man ein paar froehliche, ausgelassene Stunden am Meer neben der uralten Stadt wiedergeben, ohne dass sie Vergangenheit wuerden?

Auch Baalbek verschweige ich, denn der kollosale Jupitertempel, der von Augustus und nachfolgenden Kaisern, besonders Nero, als der allergroesste des roemischen Reiches gebaut wurde (und wie dieses nie fertig wurde), trat von Anfang an zurueck hinter die Begegnung mit François, mit dem ich die Saeulenreihen abgeschritten bin und noch lange am Nachmittag im Cafe sass, wo es um Fragen von Lebensentscheidung und Wahrheit ging - obwohl er an diesem Tag noch das Land verlassen wollte.

Und mein eigenes Verschwlnden aus Libanon kann kaum Worte finden, da es sich nicht und nicht ueberwinden konnte, endlich stattzuhaben, und sich stattdessen in Korridoren wie in Tripolis in langem, unbestimmten Warten, und bald darauf noch mehr in Homs verlor, wo ich, geldlos, von einem Taxi durch die freitaegliche Stadt getragen wurde, ohne dass sich Syrien entschliessen konnte, mich an seine Waehrung oder seine Nahrung heranzulassen, und dieses leere Kreisen dennoch die Haelfte meiner libanesischen Waehrungsreserven verbrauchte; indessen ereignete sich abseits erst das Entscheidende: İch trieb mich in den Stunden bis Mitternacht in den Seitengassen der Busstation herum und gewahrte aus den Augenwinkeln eine starke Rauchentwicklung, schlich naeher und fand einen Kebabbrater, der den Griller mitten auf die Strasse gestellt hatte. In Freude willkommen geheissen, bekam ich fuer meine Scheine ein stattliches syrisches Menue auf einem eigens herbeigeschafftem Plastiktisch in der Tiefe des Geschaefts zwischen Zwiebelkisten und Putzmitteln, waehrend die uebrigen Strassenbewohner sich ihre Postion fuers Fastenbrechen in Zellophan packen liessen und zu Hause verzehrten.

Und dennoch verlief mein weiteres Verschwinden noch nicht reibungslos, denn nachdem ich mich (altbewaehrt) die Stunden bis Mitternacht auf den Wartestuehlen der Station quer ausstreckte, wurde ich aber in den letzten Tagesminuten unruhig, denn zwar war die syrische Busunternehmerfamilie im klimatisierten Buero anwesend, und die Zuwendung des stattlichen Vaters zum kleinen Soehnchen zu Herzen gehend, aber weder vom fuer Mitternacht angekuendigten Bus in die Tuerkei, noch von weiteren Fahrgaesten war irgendeine Spur zu sehen, und auf mein Nachfragen hin hatten Vater, Bruder wie Sohne ploetzlich wieder das Englisch verlernt. So war auch diese naechtliche, fast menschenleere Halle, in der der Fernseher seit Stunden sein Werbeprogramm herausplaerrte und das angrenzende Lokal wie auch das Geschaeft geschlossen, aber Kiosk und Toılette geoffnet waren, wieder zum Korridor geworden, in dem ich mich wiederum dem Scheitern ausgesetzt fand. Und als dann eine halbe Stunde spaeter der Bus tatsaechlich erschien, war ich gerade auf der Toilette und gefaehredete selbst beinahe meine Abreise.

Zu solchen Korridoren waren Tripolis und Homs geworden, wo ich nicht einmal bis zur Mitte vordrang, spaeter dann noch Antakya, wo ich nach dem Fruehstueck eine halbe Stunde hineinging, ohne den Orontes, den ich vom Bus aus voll Wasser gesehen habe, noch eine andere bekannte Stelle zu finden, bevor ich zum Bus zurueckkehren musste, so gross war die Stadt inzwischen gewachsen. İskenderum sah ich zum ersten Mal aus der Ferne in der Bucht liegen, in Urfa konnte ich, obwohl wir es lange durchquerten, nicht einmal die Nemrud-Burg von Weitem sehen. Und da das Nichterfahrene schwerlich Sprache werden kann, waere von diesem stillen Ende der Reise nichts weiter zu erzaehlen als die Quadrate der Felder, die unterhalb des Taurusgebirges von strohgelb bis dunkenbraun in allen Farben in der Spaetnachmıttagssonne liegen, deren Raender von graubraunen Basalttruemmern eingefasst sind und mit den langen Schatten noch schaerfer und plastischer hervortreten. Oder die gruenbewaldeten Haenge seit Antakya über dichtgedraengten Feldern von Gemüse und Mais, Tabak und Tee und wahrscheinlich Baumwolle, oder besser noch die kleinen Szenen von Maennern bei Schafen oder Rindern, die manchmal auf die Autobahn kommen, oder saecketragenden Frauen. Nur über die unzaehligen Neubauten wuerde ich niemals ein Wort verlieren, da ich schon viel zu oft meine Meinung ueber die Menschenvermassung breitgetreten habe, deren Skelette aus rundlichen Platten bestehen, die zwischen senkrechte Staebe aufgespannt sind und wie Kraken am Land hocken. Wenn sich dann Haut darüber spannt, werden es rosa, grüne und gelbe Würfel und Quader mit Balkonreihen, damit die einstmals orientalische Stadt nun bis zum Horizont wachsen kann und die nach wie vor staubigen Strassen scharfe Schatten bekommen.

Zuletzt ist das verzoegerte Verschwinden in ein Erscheinen ausgelaufen, naemlich das neuerliche Erscheinen eines Stadtrandes vor Diyarbakır, und bald darauf, wieder ueber lange Korridore, erschienen jene beiden Kirchen, die ich bei den beiden letzten Besuchen nicht und nicht finden konnte, nebeneinander die syrisch-orthodoxe Jungfraumarienkirche und die protestantische, und mit beiden Pfarrern war ich augenblicklich im Gespraech und werde morgen die Messe besuchen koennen, aber wiederum war das Verschwinden das Schwierigere in den stockfinsteren Labyrinthgaesschen, sodass ich eine ganze Anzahl ernster Helfer benoetigte, um wieder ans Licht zu kommen.

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